07. Januar 2015
Bundesverfassungsgericht erklärt Erbschaftsteuer erneut für verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem heute verkündeten Urteil (1 BvL 21/12) das Erbschaftsteuergesetz erneut für verfassungswidrig erklärt. Das gleiche Schicksal erlitten bereits die vorangegangenen Fassungen durch entsprechende Beschlüsse des Verfassungsgerichts vom 7. November 2006 (1 BvL 10/02) und 22. Juni 1995 (2 BvR 552/91). Wie im Jahre 1995 beanstandete das Gericht auch diesmal eine Verletzung des Gleichheitsrechts. Während im Jahre 1995 die gleichheitswidrige Ermittlung der Bemessungsgrundlagen zwischen Grundvermögen und Kapitalvermögen und im Jahre 2006 die Anwendung eines einheitlichen Tarifs auf ungleich ermittelte Bemessungsgrundlagen gerügt wurden, hatte das Gericht mit weiterem Beschluss vom 21. Juli 2010 (1 BvR 611/07) den Gesetzgeber aufgefordert, rückwirkend die gleichheitswidrige Belastung von Lebenspartnerschaften abzustellen.

Begründung der Verfassungswidrigkeit und Rechtsfolgen für die Anwendung

Auch dieses Mal erfolgte die Feststellung der Verfassungswidrigkeit wegen einer Verletzung des Gleichheitsrechtes: Die Überbegünstigung von (insbesondere großen) betrieblichen Einheiten bei Schenkungen und Erbschaften sei nicht zielgenau begründet. Der Gesetzgeber sei von einem erwarteten Steueraufkommen als Sollgröße ausgegangen und habe auf dieser Basis durch die Festlegung der Befreiungstatbestände und Steuersätze das Erbschaftsteuergesetz aufkommensorientiert gestaltet.

Der Gesetzgeber muss nun bis zum 30. Juni 2016 einen verfassungskonformen Zustand des Erbschaftsteuergesetzes herstellen. Das derzeitige Gesetz wird zwar bis zum Inkrafttreten der Neuregelung weiter angewendet. Das Bundesverfassungsgericht erlaubt dem Gesetzgeber aber ausdrücklich, die überbegünstigenden Regelungen rückwirkend aufzuheben. Damit begründen die Begünstigungstatbestände für Betriebsvermögens in §§ 13 a, 13 b ErbStG mit sofortiger Wirkung keinen Vertrauensschutz mehr.

Steuerplanung und gesetzliche Neuregelung

Bis zur Veröffentlichung einer Neuregelung ist auf der Basis der heutigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine rechtssichere Schenkungsteuerplanung nicht möglich. Der Bundesgesetzgeber wird die geforderten Änderungen voraussichtlich entsprechend dem Koalitionsvertrag von 2013 in geringstmöglichem Umfang so vornehmen, dass „eine Unternehmensnachfolge auch künftig durch die Erbschaftsbesteuerung nicht gefährdet“ wird. Notwendig sei daher, so die Absichtserklärung des Koalitionsvertrages weiter, „eine verfassungsfeste und mittelstandsfreundlich ausgestaltete Erbschaft- und Schenkungsteuer, die einen steuerlichen Ausnahmetatbestand bei Erhalt von Arbeitsplätzen vorsieht.“

Da das derzeitige Gesetz keine zielgenaue Verschonung regelte, hat das Bundesverfassungsgericht die Gesamtregelung als verfassungswidrig aufgehoben. Mithin steht zu erwarten, dass im Rahmen der gesetzlichen Neuregelung die Arbeitsplatzanknüpfung auch bei kleineren Unternehmen gefordert werden wird und eine erbschaftsteuerliche Begünstigung ohne zu übernehmende Arbeitnehmer nicht mehr möglich sein wird. Damit steht eine weitere Verschärfung über die im Jahre 2013 eingeführten Einschränkungen bei liquidem Unternehmensvermögen an. Ferner wird der Gesetzgeber entsprechend dem Urteil die pauschale Vollbegünstigung eines Unternehmens mit nur etwas mehr als der Hälfte an begünstigungsfähigen Vermögensteilen und die Verstärkung des Effektes bei Unternehmensstrukturen mit nachgeschalteten Beteiligungsgesellschaften wohl aufgeben müssen. Schließlich fordert das Gericht den Gesetzgeber auf vorzuschreiben, bei größeren und großen Unternehmen im Einzelfall die Verschonungsbedürftigkeit zu prüfen.

Offene Fragen im Gesetzgebungsverfahren

Neben den vom Gericht beanstandeten Punkten enthält das geltende Erbschaftsteuergesetz weitere Ungleichbehandlungen, die vom Gesetzgeber auch und gerade dann beseitigt werden sollten, wenn er sich nicht insgesamt für ein klares und einfaches Erbschaftsteuerrecht auf Basis der in den letzten Jahren vorgestellten Modelle entscheidet. Unklar ist jedoch, ob der Bundesgesetzgeber einen entsprechenden Gestaltungswillen aufbringt oder erneut verfassungsrechtliche Probleme in Kauf nimmt.

Besonders dringlich für Familienunternehmen wäre eine Beendigung der systematischen Überbewertung von Unternehmen in §§ 199 ff BewG durch Ansatz marktgerechter Gewinnmultiplikatoren von rund 7 (statt in den letzten Jahren im Bereich von 14). Ferner müssten, statt den Gesamtunternehmenswert auf die Anteile aufzuteilen, die üblicherweise im Gesellschaftsvertrag vereinbarten Verfügungsbeschränkungen und Abfindungsregelungen bei der Bewertung der Anteile an Familienunternehmen Berücksichtigung finden. Der Gesetzgeber sollte die Möglichkeit nutzen, die strikte Anknüpfung an Börsenkurse oder Marktpreise ohne Berücksichtigung der im Verkaufsfall anfallenden Ertragsteuern aufzugeben und die Bewertung auf pauschal ermittelte Nachsteuererlöse aufbauen. Für den Erben oder Beschenkten erhöht sich seine Leistungsfähigkeit vor allem bei Verkauf der Unternehmen oder Immobilien. Beharrt der Gesetzgeber auf dem bisherigen Ansatz des Bruttoerlöses, müsste die Bewertung der Anteile folgerichtig nicht als Wert aus den Unternehmenserträgen, sondern auf Basis der durchschnittlichen Ausschüttungsquote ermittelt werden. Schließlich sollte geprüft werden, ob und in welchem Umfang eine Stundung der Erbschaftsteuer ohne Sicherheitsleistung über 10 oder 15 Jahre den Unternehmenserhalt durch eine liquiditätsschonende Steuerentrichtung fördern kann.

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