22. Juni 2010
Stellungnahme zur steuerlichen Anerkennung einer Kapitalgesellschaft als Organgesellschaft - Verlustübernahme

Bundesministerium der Finanzen
Herrn Ministerialdirektor Dr. Albert Peters
Leiter der Steuerabteilung
Wilhelmstrasse 97

10117 Berlin

Stellungnahme zu OFD Rheinland und Münster S 2770 – 1015- St 131 (Rhld.) / S 2770 – 249 – St 13 – 33 (Ms) v. 12.8.2009, BB 2010, 101

Sehr geehrter Herr Ministerialdirektor Dr. Peters,

nach § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG hängt die steuerliche Anerkennung einer Kapitalgesellschaft in der Rechtsform der GmbH – ebenso der „UG (haftungsbeschränkt)“ – als Organgesellschaft davon ab, dass im Gewinnabführungsvertrag (GAV) eine Verlustübernahme entsprechend den Vorschriften des § 302 AktG vereinbart wird. Der BFH hat in einer Reihe von Entscheidungen festgestellt, dass die Vereinbarung § 302 AktG seinem gesamten Inhalt nach umfassen muss. Die Vereinbarung einer „nackten“ Verpflichtung zur Verlustübernahme nach § 302 Abs. 1 AktG genügt nicht, das Verzichts- und Vergleichsverbot nach § 302 Abs. 3 AktG muss ebenfalls umfasst sein, vgl. BFH-Urt. I R 220/78 v. 17.12.1980, BStBl. 1981 II, 383; I R 43/99 v. 29.3.2000, BFH/NV 2000, 1250; I R 74/05 v. 22.2.2006, BFH/NV 2006, 1512; IV R 88/05 v. 17.6.2008, BFH/NV 2008, 1705; I R 68/09 v. 3.3.2010, DStR 2010, 1132. Auch die Ende 2004 eingefügte Verjährungsregelung gem. § 302 Abs. 4 AktG muss Bestandteil der Vereinbarung sein. Hierzu hat das BMF indes entschieden, dass vor dem 1.1.2006 geschlossene GAV einer Anpassung nicht bedürfen. Nur Neuverträge müssen eine entsprechende Vereinbarung enthalten, vgl. BMF IV B 7-S 2770-30/05 v. 16.12.2005, BStBl. 2006 I, 12.

Wegen der praktischen Ausformulierung des GAV sieht R 66 Abs. 3 Satz 3 KStR zwei Möglichkeiten vor. Es kann ohne Einschränkung in dem Vertragstext auf § 302 AktG verwiesen werden („entsprechend der Regelungen des § 302 AktG“). Es kann aber auch § 302 AktG wörtlich übernommen werden. GAV enthalten häufig Formulierungen nach folgendem Muster:

„Die … GmbH verpflichtet sich, entsprechend § 302 AktG jeden während der Vertragsdauer sonst entstehenden Jahresfehlbetrag der … GmbH auszugleichen, soweit dieser nicht dadurch ausgeglichen wird, dass den freien Gewinnrücklagen Beträge entnommen werden, die während der Vertragsdauer in sie eingestellt worden sind.“

 

Nach der Verfügung der OFD Rheinland und Münster S 2770 – 1015 – St 131 (Rhld.) / S 2770 – 249 – St 13 – 33 (Ms) v. 12.8.2009 stellt eine solche Formulierung keine steuerlich anzuerkennende Verlustübernahmeverpflichtung iS von § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG dar, da die Vertragspartner im Ergebnis nur eine Verlustübernahme iS von § 302 Abs. 1 AktG vereinbart hätten. Es fehle an einer Vereinbarung des Verzichts- und Vergleichsverbots gem. § 302 Abs. 3 AktG und – im Falle von Neuverträgen – der Verjährungsregelung gem. § 302 Abs. 4 AktG.

Diese Auffassung teilen wir nicht. Als korporationsrechtliche Verträge sind GAV nach objektiven Gesichtspunkten einheitlich aus sich heraus auszulegen. Wortlaut, Sinn und Zweck der jeweiligen Regelung kommt dabei ebenso maßgebende Bedeutung zu wie dem systematischen Bezug der Klausel zu anderen Satzungsvorschriften. Umstände, für die sich keine ausreichenden Anhaltspunkte in der Satzung finden, können zur Auslegung grundsätzlich nicht herangezogen werden, vgl. grundlegend BGH II ZR 155/92 v. 11.10.1993, BGHZ 123, 347. Allein die Tatsache, dass zusätzlich zum allgemeinen Verweis auf § 302 AktG Teile der Vorschrift wörtlich zitiert werden, evoziert nicht die Annahme, dass sich der Verweis auf die wörtlich zitierten Regelungen des § 302 AktG beschränke. Vielmehr ist die Verweisung auf § 302 AktG vorbehaltlos formuliert und lässt eine Beschränkung auf bestimmte Absätze der Vorschrift nicht erkennen.

In der Verfügung der OFD Rheinland und Münster heißt es, es hätte einer nachfolgenden Wiederholung des Regelungsinhalts von § 302 Abs. 1 AktG nicht bedurft, wenn die Verweisung auf § 302 AktG bereits dessen gesamten Inhalt einbeziehen sollte. Diesem Argument ist zu widersprechen. Vielmehr verhält es sich umgekehrt. Die Verweisung auf § 302 AktG ist gegenstandslos und überflüssig, wenn sie ohnehin nicht weiterreicht als die wörtlich zitierten Passagen von § 302 Abs. 1 AktG.

Wir regen an, dass sich das BMF in einer eigenen bundeseinheitlichen Verwaltungsanweisung von der Rechtsauffassung der Verfügung der OFD Rheinland und Münster distanziert. Soweit das BMF diese Rechtsauffassung teilen sollte, regen wir an, dass jedenfalls eine Übergangsregelung aus Vertrauensschutzgründen getroffen wird. In der Praxis ist eine ganz erhebliche Unsicherheit entstanden. Entsprechende GAV sind häufig seit vielen Jahren in Vollzug und haben Betriebsprüfungen bislang beanstandungslos passiert. Ihre Änderung erfordert häufig die Mitwirkung der Hauptversammlung. Die geänderte Rechtsauffassung sollte daher allenfalls für die Zukunft und erst ab dem 1.1.2011 angewendet werden. Es bliebe dann ausreichend Zeit, um bestehende GAV soweit erforderlich anzupassen.

Hiervon losgelöst regen wir die ersatzlose Streichung von § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG an. Wie die Verfügungen der OFD Rheinland und Münster zeigen, schafft das Erfordernis einer ausdrücklichen Vereinbarung der Verlustübernahme nach § 302 AktG vor allen Dingen Rechtsunsicherheit. In der Sache handelt es sich um eine bloß deklaratorische Vereinbarung. Der ursprüngliche Zweck des bereits im § 7a Abs. 5 KStG 1969 verankerten Erfordernisses bestand darin, die Schutzvorschriften des Aktienrechts auf den GmbH-Vertragskonzern auszudehnen, was damals zivilrechtlich noch nicht gesichert war. Inzwischen ist in der zivilrechtlichen Rechtsprechung aber seit langem anerkannt, dass § 302 AktG auch ohne ausdrückliche Vereinbarung im GmbH-Vertragskonzern analog gilt, vgl. BGH-Urt. II ZR 170/87 v. 14.12.1987, BGHZ 103, 1; II ZB 7/88 v. 24.10.1988, BGHZ 105, 324; II ZR 287/90 v. 11.11.1991, BGHZ 116, 37; II ZR 120/98 v. 11.10.1999, BGHZ 142, 382. Ungeachtet der Zweifelhaftigkeit des Ansatzes, das zivilrechtliche Schutzniveau im GmbH-Vertragskonzern mit den Mitteln des Steuerrechts zu verfolgen, ist das Vereinbarungserfordernis gem. § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG durch die Fortentwicklung des Zivilrechts von einem echten Schutzstandard zu einer bloßen Förmelei denaturiert worden. In der Literatur wird die Vorschrift daher für eine überflüssige Strafvorschrift gehalten und ihre Streichung gefordert, vgl. Walter, in: Ernst & Young, KStG, § 17 Rz. 12 (September 2009); Pache, in: Herrmann/Heuer/Raupach, KStG, § 17 Rz. 3, 28 (Juli 2009). Dem schließen wir uns an. Die steuerliche Anerkennung von Organschaftsverhältnissen sollte nicht von der Beachtung bloßer Förmlichkeiten abhängen.

Für Rückfragen und sonst als Ansprechpartner steht Ihnen RA/StB Dr. Claas Fuhrmann zur Verfügung.

Dr. Bornheim                                                       Dr. Fuhrmann