02. April 2020
Offener Brief an Herrn Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz sowie Herrn Bundesminister Für Wirtschaft und Energie Peter Altmaier
Dringende steuerliche Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen, die durch COVID-19 bedingte Schließungen und Kurzarbeit betroffen sind.

 

Sehr geehrter Herr Vizekanzler Scholz,
sehr geehrter Herr Bundesminister Altmaier,

die Exekutive hat zum Schutz der Gesundheit in einer bisher glücklicherweise nie erforderlichen Intensität in die unternehmerischen Grundfreiheiten (Art. 2, 12 und 14 GG) eingegriffen. Sie hat sich ferner bemüht, die Liquiditätssituation der betroffenen Unternehmen durch eine Mischung von Soforthilfen für Kleinstunternehmen, Kreditunterstützungen und Hilfen für Großunter­nehmen zu verbessern. Ferner wurden im Erlasswege die Finanzämter angewiesen, Steuervor­auszahlungen vereinfacht herabzusetzen und Stundungen zu bewilligen. Diese Maßnahmen sind bedauerlicherweise nicht ausreichend.

In unserer täglichen Beratung erleben wir regelmäßig, dass insbesondere Kreditunterstützun­gen vielen Unternehmen nicht helfen, da die Voraussetzungen der Tilgungsfähigkeit bei Be­triebs- und Werksschließungen für die primär mit den Kreditprüfungen befassten Banken und Spar­kassen nicht hinreichend sicher beurteilt werden können. Insofern erscheint es uns zwingend, darüber nachzudenken, ob verschiedene in den letzten Jahren der wirtschaftlichen Blüte zum Schutze stetiger staatlicher Einnahmen unter Beschränkung der Besteuerung nach der Leistungs­fähigkeit nicht – jedenfalls temporär – suspendiert werden müssen. So ließe sich ganz kurzfristig die Liquiditätssituation der belasteten Unternehmen verbessern. Dieser Ansatz passt auch zu der richtigen Überlegung, Prämien für in der Krisensituation besonders belastete Arbeitnehmer par­tiell steuerfrei zu stellen.

Wir schlagen vor, die bisherigen steuerlichen Maßnahmen dadurch zu erweitern, dass der Verlustrücktrag, § 10d EStG, für im Jahre 2020 entstehende Verluste wie in der Vergangenheit ohne betragliche Begrenzung auf das vorletzte Jahr, also 2018, wieder für die Einkommensteuer und Körperschaftsteuer eingeführt wird. Da die Gewerbesteuer oftmals belastender als die Körperschaftsteuer ist, sollte der Verlustrücktrag auch für Zwecke der Gewerbesteuer ermög­licht werden. Bund und Länder werden den betroffenen Gemeinden hier helfen müssen. Um bei den von behördlichen Schließungen betroffenen Unternehmen (z.B. Gastronomie, Handel, Hotellerie, Kulturanbieter, Messewesen) unmittelbare Liquiditätswirkungen zu erzeugen, regen wir an, dass in Abhängigkeit von der Länge der Betriebsunterbrechung bzw. Kurzarbeit ein Betrag von (zunächst) zwei Monaten Kosten (auf der Basis der zuletzt eingereichten Steuer­erklärung) als negative Einnahmen vom Gewinn des Jahres 2018 und, soweit dieser nicht aus­reicht, vom Gewinn der Jahre 2019 und 2020 abgezogen werden kann. Verlängern sich die Schließungszeiten, erhöht sich dieser Betrag entsprechend. Die Geltendmachung erfolgt durch eine Steueranmeldung, in der der Unternehmer die Richtigkeit seiner Angaben zur Höhe der Kosten und zur Betriebsschließung bzw. Kurzarbeit – als Steuerhinterziehung sanktioniert – zu versichern hat. Ergibt sich hieraus eine Überzahlung der Steuern für die Jahre 2018, 2019 oder 2020, erfolgt eine unmittelbare Erstattung auch dann, wenn das Veranlagungsverfahren bisher nicht abgeschlossen wurde. Die Erstattung ist begrenzt auf die geleisteten Steuervor­auszah­lun­gen.

Die Regelungen zum Verlustrücktrag hatten sich in der Vergangenheit bewährt; die Gesetzes­technik ist einfach und schnell umsetzbar. Eine gesonderte Prüfung erscheint wegen der harten Sanktionierung als Steuerhinterziehung verzichtbar; im Rahmen der steuerlichen Außen­prüfun­gen und Veranlagungen müssen die Daten ohnedies von der Finanzverwaltung verifiziert werden, sodass kaum zusätzlicher Aufwand anfällt. Durch die Rückerstattung von geleisteten Steuerzahlungen, die über die tatsächliche jahresübergreifend verstandene Leistungsfähigkeit hinausgehen, verhält sich der Staat zu den besonders belasteten Unternehmen solidarisch; er akzeptiert seine (auch finanzielle) Verantwortung für die im Gesundheitsinteresse der Bevöl­kerung angeordneten Maßnahmen.

Für eine fachliche Unterstützung im Gesetzgebungsverfahren stehen wir Ihnen selbstverständ­lich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Bundesverband der Steuerberater e.V.

Professor Dr. Jochen Lüdicke
Präsident

Valentin Schmid
1. Vizepräsident

Ingo Heuel
2. Vizepräsident