22. April 2014
Geplante Verlängerung der steuerstrafrechtlichen Verjährungsfristen (Initiative der Landesfinanzminister)

Prof. Dr. Heribert Hirte, MdB
Deutscher Bundestag
Platz der Republik 1
11011 Berlin

 

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Hirte,

Ihr Büro ist ans uns mit den Fragen herangetreten, wie wir die geplante Verlängerung der steuerstrafrechtlichen Fristen - insbesondere angesichts u.U. abweichender steuer- und handelsrechtlicher Fristen – beurteilen. Wir danken für Ihre Anfrage, die wir gerne beantworten.

Als Bundesverband der Steuerberater e.V. (BVStB) beobachten wir auch die geplanten Änderungen im Bereich des Steuerstrafrechts aufmerksam (Verschärfung der Selbstanzeige gem. § 371 AO einschließlich der Verlängerung der steuerstrafrechtlichen Verjährung).

Gegenwärtig besteht folgende Rechtslage:

1. Fristdauer:

Steuer- und handelsrechtlich bestehen grundsätzlich dieselben Aufbewahrungsfristen. Diese betragen zwischen sechs und zehn Jahren (vgl. die Fälle in § 147 AO, § 257 HGB).

Daneben besteht die steuerrechtliche Festsetzungsfrist, innerhalb der eine Steuer festgesetzt werden kann. Diese beträgt grundsätzlich vier Jahre. Im Falle leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre und bei (vorsätzlicher) Steuerhinterziehung zehn Jahre (§ 169 AO).

Die steuerstrafrechtliche Verjährung (sog. Verfolgungsverjährung) ist für die Vollständigkeit einer Selbstanzeige gem. § 371 AO zu beachten. Diese Frist beträgt grundsätzlich fünf Jahre, § 78 Abs. Nr. 4 StGB. Seit dem 25.12.2008 gilt jedoch § 376 AO in neuer Fassung, wonach in den in § 370 Abs Satz 2 Nr. 1 bis 5 AO genannten Fällen die strafrechtliche Verjährungsfrist zehn Jahre beträgt. Dies gilt auch für Altfälle, die am 25.12.2008 noch nicht strafrechtlich verjährt waren. Liegt z.B. eine Steuerhinterziehung in großem Ausmaß vor (§ 370 Abs. Satz 2 Nr. 1 AO – nach aktueller Rechtsprechung in der Regel bei einem Hinterziehungsbetrag von 50.000,00 € Steuern bzw. bei Nichtfestsetzung von 100.000,00 € Steuern) muss eine Selbstanzeige bis zu 10 Jahre umfassen, damit sie strafbefreiende Wirkung haben kann.

2. Fristbeginn

Die handels- und steuerrechtliche Aufbewahrungsfrist beginnt mit dem Schluss des Kalenderjahres, in dem die letzte maßgebliche Handlung vorgenommen worden ist, also z.B. die letzte Eintragung in das Buch erfolgt, der Buchungsbeleg entstanden ist oder der Konzernabschluss aufgestellt worden ist.

Die steuerrechtliche Festsetzungsfrist beginnt bei den Steuerarten, in denen eine Steuererklärung abzugeben ist (insbesondere also bei der Einkommen- , Körperschaft- und Umsatzsteuer) mit Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Steuererklärung eingereicht worden ist (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO). Wird hingegen keine Steuererklärung eingereicht, so beginnt die Frist spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, welches auf das zu erklärende Jahr folgt. Die steuerrechtliche Frist kann also bei einem Vorsatzvorwurf bis zu dreizehn Jahre betragen.

Strafrechtlich beginnt die Frist für den jeweiligen Veranlagungszeitraum (Kalenderjahr) mit dem Datum, an welchem der betreffende falsche Steuerbescheid bekanntgegeben wird. Wenn hingegen kein Steuerbescheid bekanntgegeben wurde, so beginnt die Frist bei Veranlagungssteuern zu dem Zeitpunkt, in welchem zu erwarten gewesen wäre, dass ein Steuerbescheid dann ergangen wäre. Dies ist nach der Rechtsprechung der Fall, wenn der zuständige Veranlagungsbezirk des Finanzamtes 95% der Veranlagungsarbeiten erledigt hat.

Betrachtung der gegenwärtigen Rechtslage:

Aktuell besteht eine Divergenz insbesondere aufgrund des unterschiedlichen Beginns der o.g. Fristen. Mit dieser Divergenz konnten Steuerberater und Behörden in der Praxis jedoch weitgehend pragmatisch umgehen. Insbesondere ist allein die Feststellung einer Divergenz noch kein Makel,  sondern nur eine Analyse der unterschiedlichen Rechtslage, die aber sachlich zu rechtfertigen ist. Zudem hatte der Gesetzgeber in 2013 sogar geplant, die handels- und steuerrechtlichen Aufbewahrungsfristen zu verkürzen, um die Wirtschaft von Kosten der Aufbewahrung teilweise zu  entlasten. Dieses begrüßenswerte Gesetzesvorhaben ist leider am Bundesrat gescheitet und aufgrund des Ablaufs der Wahlperiode erledigt (Grundsatz der Diskontinuität). In diesem Punkt würden wir es begrüßen, wenn der Gesetzgeber erneut aktiv werden würde, da sich das berechtigte Anliegen, Aufbewahrungskosten zu mindern, nicht geändert hat.

Wenn nunmehr aufgrund politischer Überlegungen die Regelungen zur Selbstanzeige u.a. durch eine Verlängerung der strafrechtlichen Verjährungsfrist verlängert werden soll, so dient dies nach unserer Ansicht nur vermeintlich der Schließung einer Gerechtigkeitslücke. Sämtliche Überlegungen zur Verlängerung der strafrechtlichen Verjährungsfrist bei Steuerhinterziehungen gelten sinngemäß für eine Ausdehnung des Vollständigkeitsgebots nach § 371 Abs. 1 AO.

Es besteht kein sachlicher Grund, die strafrechtliche Frist der steuerlichen anzugleichen, da es vernünftige Gründe für die unterschiedliche Regelung gibt. So gilt z.B. auch beim Betrug gem. § 263 StGB eine fünfjährige Verjährungsfrist. Insbesondere der BGH weist auf die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen dem Betrugstatbestand und der Steuerhinterziehung hin. Zudem entspricht es dem Gebot der Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit, dass bei kleineren Delikten eine eher kurze strafrechtliche Verjährung gelten muss. Es ist rechtsstaatlich bedenklich und auch unter Strafzwecken nicht geboten, z.B. eine Hinterziehung i.H.v. 500 Euro im Jahr 2003 noch heute bestrafen zu können. Hier ist auch der zielgerichtete Einsatz der Ressourcen der strafrechtlichen Ermittlungsbehörden zu bedenken, um die wirklich „dicken Fische“ zu ermitteln.

Zudem wird in der politischen Diskussion oft verkannt, dass auch eine wirksame (vollständige) Selbstanzeige für einen strafrechtlichen Zeitraum von fünf Jahren nicht die Verpflichtung aufhebt, für die steuerrechtlich unverjährten Jahre die zutreffende Nachzahlung zu leisten. In diesem Zusammenhang kommt es in der Praxis, wenn sich eine Selbstanzeige auf den strafrechtlich verjährten Zeitraum beschränkt, in manchen Fällen zu Diskussionen betreffend die Frage, in welchem Umfang Mitwirkungspflichten (Erklärungspflichten) für den Zeitraum davor (also länger als fünf Jahre her) bestehen, d.h. für diejenigen Jahre, die steuerrechtlich noch nicht verjährt sind. Hier spielt auch die bisher für das Steuerrecht nicht hinreichend geklärte Anwendbarkeit des strafrechtlichen Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit eine Rolle, soweit sich aus steuerlichen Erklärungen Selbstbelastungen für strafrechtlich unverjährte Jahre ergeben würden (nemo tenetur-Grundsatz). Die Finanzbehörden können jedoch die Einkünfte für frühere Jahre schätzen gem. § 162 AO, wenn der Steuerpflichtige nicht hinreichend mitwirkt. Zwar tragen die Finanzbehörden die Feststellungslast dafür, dass in den Vorjahren eine Steuerhinterziehung vorlag, d.h. dass die verlängerte Festsetzungsverjährung von zehn Jahren gem. § 169 Abs. 2 Satz2 AO gilt (vgl. BFH v.2.4.09, VII B 176/08). Insbesondere aber bei den aktuell politisch diskutierten Fällen von Auslandskonten („Schwarzgeldkonten“) besteht in diesem Punkt oft nur eine geringe Hürde. So kann z.B. bei einem nachgewiesenen Dauersachverhalt wie einem Auslandskonto, bei dem im Rahmen einer Selbstanzeige Kapitaleinkünfte der letzten fünf Jahre erklärt werden, das Finanzamt grundsätzlich davon ausgehen, dass marktübliche Erträge auch in früheren Jahren erzielt worden sind. Hinsichtlich des Nachweises der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung gelten steuerlich nicht die Vorschriften der StPO sondern der AO (BFH, BStBl 1993, 36; 1989, 216; 1979, 570). Der Steuerpflichtige müsste dann nachweisen, dass er das Auslandsdepot noch nicht in diesen früheren Jahren besaß. Dies kann er z.B. durch Vorlage der Kontoeröffnungsunterlagen und geeignete Nachweise zur Kapitalherkunft- bzw. Entstehung tun. Die Finanzämter haben insbesondere bei Auslandskonten bereits nach aktueller Rechtslage eine hinreichende Handhabe durch die Anordnung in § 90 Abs. 2 AO, das bei Auslandssachverhalten eine erhöhte Mitwirkungspflicht besteht. Der Steuerpflichtige muss sich also für steuerliche Zwecke im vorgenannten Fall faktisch selbst entlasten.

Eine generelle Verlängerung auf zehn Jahre würde zudem nicht zu einer vollständigen Angleichung führen, weil der Fristbeginn auch dann noch unterschiedlich zu berechnen wäre. Auch dies wird u.E. in der politischen Diskussion nicht hinreichend beachtet. Beispiel: Die Einkommensteuererklärung für das Jahr 2002 wurde Ende 2003 inhaltlich unzutreffend abgegeben (Steuerhinterziehung i.H.v. 200.000 Euro und damit eine schwere Steuerhinterziehung). Der Steuerbescheid für 2002 wurde am 6. Juni 2004 bekanntgegeben. Damit begann die zehnjährige steuerrechtliche Festsetzungsfrist (bei Vorsatz) mit Ablauf des 31.12.2003 und endete am 31.12.2013. Strafrechtlich beginnt die Frist am 6.Juni 2004 und endet erst am 6. Juni 2014. Damit ist nach geltender Rechtslage die strafrechtliche Frist in diesem Fall sogar länger als die steuerliche.

Zusammenfassend möchten wir feststellen, dass die unterschiedlichen Regelungen zur Verjährung historisch gewachsen sind und den Differenzierungen sachliche Überlegungen zugrunde liegen. Eine Angleichung ist sachlich nicht geboten. Zudem ist eine vollständige Angleichung – entgegen mancher Äußerung aus dem politischen Raum – nicht durch eine bloße Verlängerung der strafrechtlichen Frist zu erreichen. Hierzu müssten sämtliche Regelungen – auch zum Fristbeginn – angepasst werden. Doch in welcher Richtung? Sollte die strafrechtliche Frist wirklich in jedem Fall auf dreizehn Jahre (wenn die steuerliche Frist diesen Zeitraum wegen Nichtabgabe von Erklärungen umfasst) ausgedehnt werden? Dies wäre u.E. unverhältnismäßig. Oder soll die steuerrechtliche Frist generell an die strafrechtliche (ggf. zehn Jahre und gleicher Fristbeginn) angepasst werden? Dies würde der politischen Diskussion jedoch entgegenlaufen. Jeglicher Eingriff in die Verjährungsregelungen führt u.E. zu Wertungswidersprüchen und unbefriedigenden Lösungen. Es gibt keine Einheitslösung als  Patentrezept.

Wir möchten uns hier dagegen aussprechen, aktuellen politischen Strömungen nachzugeben. Diese sind zudem recht wechselhaft, wie z.B. letztes Jahr der gesetzgeberische Versuch zeigte, die Aufbewahrungsfristen sogar zu verkürzen. Verjährungsfristen dienen hingegen der Rechtssicherheit und dafür ist Kontinuität erforderlich. Die von den Befürwortern einer Verlängerung angeführten Überlegungen sind in der Praxis aus o.g. Gründen nicht nachvollziehbar. Insbesondere sparen Inhaber von Auslandskonten i.d.R. keine Steuer dadurch, dass die strafrechtliche Frist i.d.R. nur fünf Jahre beträgt. In betragsmäßig größeren Fällen gilt bereits nach heutiger Rechtslage eine Frist von zehn Jahren. Eine generelle Verlängerung auf zehn Jahre würde zudem die Finanzbehörden bei der Abwicklung der Vielzahl an Selbstanzeigen belasten, da sich die Diskussion um die Vollständigkeit dann zeitlich ausdehnt. Wir hören durch unsere Kontakte zu den Ermittlungsbehörden, dass diese einer Verlängerung unter diesem Aspekt des zielgerichteten Ressourceneinsatzes mehr als kritisch gegenüberstehen. Auch gibt es praktische Probleme: Beispielsweise halten manche ausländische Banken nach dortigem Recht noch nicht einmal zehn. sondern nur die letzten sieben Jahre die Bankdaten vor. Dann können keine Daten für frühere Jahre beschafft werden. Rein steuerlich ist heute dann eine Schätzung auf Durchschnittswerte im Dialog zwischen Finanzbehörde und Steuerberater oftmals pragmatisch möglich, da diese Jahre in kleineren Fällen strafrechtlich verjährt sind und die Akteure beider Seiten nicht unter dem Damoklesschwert des Strafrechts agieren. Für die Mandanten bestünde in diesen kleinen Selbstanzeigefällen sonst das Risiko der Unwirksamkeit der gesamten Selbstanzeige wegen des Verstoßes gegen das Vollständigkeitsgebot und für Ermittlungsbeamte wegen des im Strafrecht geltenden Legalitätsprinzips die Gefahr einer Strafvereitelung im Amt nach § 258a StGB. Eine für beide Seiten unbefriedigende Situation.

Auch die teilweise deutlich kürzeren Aufbewahrungsfristen von sechs Jahren führen zur Beweisnot im Strafverfahren auch in kleineren Fällen, wenn die strafrechtliche Frist generell zehn Jahre betragen würde. Demgegenüber ist eine rein vorsorgliche freiwillige oder gesetzliche Aufbewahrung über eine längeren Zeitraum in den Fällen, in denen bisher sechs Jahre gelten, unverhältnismäßig (Kostenfaktor).

Wir bitten Sie daher höflich, sich dafür einzusetzen, dass die strafrechtliche Frist nicht generell verlängert wird. Zumindest müsste es eine Übergangsregelung aus Gründen des Vertrauensschutzes geben, so dass eine Rückwirkung ausgeschlossen ist.

Abschließend erlauben wir uns unteren Gesetzesvorschlag zur Behebung der Probleme im Bereich der Anmeldesteuern an den Steuerabteilungsleiter im BMF in der Anlage beizufügen. Die Darstellung der Problematik finden sie unter:

http://www.bvstb.de/aktuelles-presse/details/article/stellungnahme-des-bvstb-zu-fehlwirkungen-der-neure.html

Für Rückfragen im Bereich Steuerstrafrecht und Selbstanzeige steht Ihnen im Bundesverband der Steuerberater der Vizepräsident RA/StB Ingo Heuel aus Köln (heuel@lhp-rechtsanwaelte.de) auch unter der Rufnummer 0221 390977-0 gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Jochen Lüdicke
Rechtsanwalt, Steuerberater